Passaus Altstadt schläft selten ganz. Gegen halb zehn tropft das Laternenlicht auf die nassen Steine, während ich mein Equipment im Schatten eines Torbogens ausrichte. Der Luftzug von der Donau trägt etwas Metallisches: feuchte Kälte, feine Nebelfäden. Mein Ziel in dieser Nacht – die unsichtbaren Echos der Stadt einzufangen, diesmal systematisch, mit besserer Kalibrierung.
Setup im Flackern der Straßenlampe
Ein Klapptisch lehnt an der Hauswand, darauf ordne ich die Kleinsttechnik:
- Raspberry Pi 4 mit Python‑Logger, 192 kHz‑Sampling, 24‑Bit‑Auflösung
- Ultraschallmikrofon (bis ~90 kHz messbar)
- USB‑Interface mit Latenz unter 10 ms
- Powerbank 10 000 mAh, aktuelle Spannung 4,95 V
Das Terminalfenster zeigt Zeile um Zeile: Zeitstempel, Amplitude, Peak‑Frequenz. Im Rauschen halte ich kurz die Hand vor den Sensor – und sehe in ASCII‑Punktoptoform das erste Echo.
22:01:13 | peak 24.7 kHz | amp 0.42 | Δt=0.7 ms
22:01:14 | peak 45.1 kHz | amp 0.61 | Δt=0.3 ms
Soweit alles stabil. In die Nacht hinaus atmet die Technik wie ein zweites Wesen.
Mini‑Story #1: Crash im Code
Kurz vor halb elf – natürlich – friert die Konsole ein. Lüfter surrt, LED aus. Ich fluche leise. Ursache? Stromspitze beim Einschalten der Stirnlampe, Spannungseinbruch. Die Powerbank lieferte nur noch 4,8 V. Also: improvisierter Bias‑Widerstand, Reset, Neustart. Eine Minute zittrige Finger im nassen Wind, dann ein schwaches Blinken – Logger revived.
„Servus, Pi. Bitte bleib online.“
Ab da logge ich doppelt: SD‑Karte + Netz‑Backup über Mobil-Hotspot.
Frequenzen jenseits des Hörbaren
Die Stadt klingt anders, sobald man den Bereich über 20 kHz belauscht. In den Gassen filtere ich die Signale über ein 30‑kHz‑High‑Pass‑Filter – plötzlich tanzen feine Muster:
| Quelle (vermutet) | Frequenzband | Stärke (rel.) |
|——————-|—————|—————-|
| Rad mit Metallnabe | 28–33 kHz | 0.6 |
| Fledermaus (Myotis?) | 42–48 kHz | 0.9 |
| Windstoß an Metallrohr | 35 kHz | 0.3 |
Ich merke: Über 25 kHz dominiert das Leben der Nacht. Unter 25 kHz bleibt vor allem Stadttechnik – Neontrafos, Lüfter, zufällige Klickimpulse.
Vergleichstest: Gasse vs. Donauufer
Um 23:30 baue ich die Messkiste in den Rucksack und gehe Richtung Fluss. Der Pegel fällt leicht, Nebel dichter. Die Temperatur niedriger um ~2 °C. Das SNR jedoch besser – weniger reflektierende Fassaden.
In der Gasse lagen mittlere Amplituden bei ~0.45, am Fluss nur 0.28 – dafür klar definierte Echos von Wasseroberfläche (Δt ~ 1.2 ms). Die Donau klingt im Ultraschall wie ein atmender Teppich.
location=gasse | median_amp=0.45 | noise_floor=−62 dB
location=donau | median_amp=0.28 | noise_floor=−71 dB
Mini‑Story #2: Begegnung am Kai
Eine Gestalt taucht aus dem Nebel, blinkende Warnweste. „Machst du Fotos?“, fragt sie. Ich erkläre flüsternd, es sei Ton, aber jenseits des Hörbaren. Sie lacht, ruft: „Na, hoffentlich hörst net mich schnarchen!“ und geht weiter. Ich notiere: menschliche Reaktionen → auditiv wie sozial = unerwartete Datenpunkte.
Der Logger läuft weiter. Um Mitternacht fließt Netzrauschen hinein, vermutlich durch das Handy‑Hotspot‑Signal. Ich lege den Pi auf eine Metallstange, Ferritkern dazwischen – Fix umgesetzt. Peaks stabilisieren sich wieder.
Resonanz und Interpretation
Zurück auf dem Balkon, kurz vor zwei. Frost hängt über den Dächerlinien. Die Visualisierung zeigt, wie die Echos Muster bilden, die an Stadtgrundrisse erinnern. Ich überlagere Datensätze von Gasse und Donau:
- Gasse: dichter Burst‑Takt bei 44 kHz, variable Dämpfung
- Donau: weiche, breitere Bänder, kaum mechanischer Impulsanteil
„Die Stadt spricht, aber auf mehreren Kanälen – wir hören nur einen.“
Ich rechne die Laufzeiten nach: 0,3 ms ⇒ ≈ 10 cm Distanz, 1,2 ms ⇒ ≈ 40 cm. Selbst mit Lufttemperaturkorrektur bleiben die Werte konsistent. Kleine Sensation für mich: Das System kann also Objekte im Nahraum sicher trennen.
Nachbereitung im Morgengrauen
Gegen drei Uhr, Hände taub, lösche ich Nebeldrops vom Laptopdeckel. Das SoX‑Batch zieht Spektrogramme in drei Farben: Magenta (biologisch), Türkis (technisch), Gelb (Wetterartefakte). CPU bei 71 °C, Lüfter kämpft, ich auch. Ich extrahiere Marker für spätere Cluster‑Analyse.
Was bleibt: eine real gemessene Melodie aus Reflexion und Zeit. Früher hätte ich einfach Kopfhörer aufgesetzt und Musik gehört. Jetzt höre ich Wände, Nebel, Asphalt.
„Vielleicht ist Forschen auch eine Art Zuhören.“
Diese Nacht endet gegen vier. Die Stadt kippt langsam in Grau, ich in Müdigkeit – aber der Recorder summt weiter und schreibt Echos, die kein Ohr je sammeln könnte.
Mitmachen & Nachbauen
- Verwende handelsübliche Ultraschallsensoren (z. B. Modultyp HC‑SR04) – nicht für Tierbeobachtung ohne Genehmigung einsetzen.
- Samplingrate ≥ 96 kHz, Python‑Logger mit Zeitstempeln genügt.
- Sicher positionieren: Gerät nie in Verkehrswegen, Stromversorgung per Powerbank.
Was ich nächstes Mal anders mache
- Stromversorgung doppelt puffern (zwei Powerbanks im Parallel‑Modus).
- Uhrzeit‑Sync via GPS statt Handy‑Hotspot zur Störreduktion.
- Schallschirm‑„Hut“
gegen Windflattern bauen. - Mehr Positionen loggen – mind. drei Distanzen zur Donau.
Mini‑Datenreport
- Anzahl Log‑Zeilen: > 600 000 Samples
- Durchschn. Peak‑Frequenz nachts: ~ 41 kHz
- Lauteste Burst‑Sequenz: 45,3 kHz (vermutlich Fledermaus)
- Differenz Gasse → Donau SNR: ≈ 9 dB
- Temperaturbereich: 10–12 °C
- Gesamtaufnahmedauer: ca. 5 h
Am Ende summt der Pi leise im Rucksack. Auf der Speicherkarte – ein Abbild der Nacht, gefroren in Zahlen. Passau schläft wieder, aber das Echo bleibt.
Beim Arbeiten mit elektronischen Komponenten und Stromquellen stets auf sichere Isolierung, stabile Spannungsversorgung und trockene Umgebung achten. Bei nächtlicher Feldarbeit Reflektoren tragen und in Begleitung unterwegs sein. Ultraschallsensoren erzeugen zwar keine hörschädigenden Frequenzen, sollten aber nicht direkt ans Ohr gehalten werden.
Aufnahmen, auch im Ultraschallbereich, sollten möglichst keine privaten Gespräche oder personenbezogenen Geräusche erfassen. Bei Datenerhebung im öffentlichen Raum gelten Datenschutz und Rücksicht auf Tiere. Fledermausaktivitäten dokumentieren, nicht stören.
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